Systhema - Heft 3 - 1997
Originalbeiträge
Heidi Salm:
„Das Trennungsritual. Erfahrungsbericht aus der familientherapeutischen Praxis“
Zusammenfassung:
Familienrichterinnen und -richter erleben immer wieder, daß die Parteien nach „einverständlichen“ und deshalb in wenigen Minuten abgewickelten Scheidungsterminen merkwürdig unschlüssig wirken - es fehlt etwas. Bei der Eheschließung ist ein großer Aufwand betrieben worden, sind Reden gehalten worden, war der Rahmen festlich und aufwendig, von der Kleidung bis zur Ausstattung der Räume. Und nun ist plötzlich alles vorbei - in 10 Minuten erledigt in einem sachlichen Gerichtszimmer. Im vorliegenden Beitrag wird nun ein von der Autorin erarbeitetes und vielfach bewährtes Trennungsritual vorgestellt, das den Abschied aus dem Verheiratet-Sein, aus dem eine Familie sein, strukturiert und besser verarbeitbar macht. Die Anwesenheit der Kinder beim Trennungsritual ermöglicht ihnen, bei der Neugestaltung des Kontaktes zu jedem der beiden Eltern nicht nur belastende, sondern auch positive Erfahrungen im Familienleben zur Verfügung zu haben.
Summary: The Separation Ritual.
Even after „quick“ divorce.processes with mutual understandings the judges concerned with the case often have the impression of something „unsettled“. Weddings usually are arranged as celebrations, festivities, big parties. And now: it's all over after a 10-minute-stand in a matter-of-fact-courtroom. The present paper outlines a ritual which facilitates leaving from being married, from being a family living together. The presence of the children during the ritual will help them not to be dominated by the burden of sad and bad experiences. Instead of that the availability of positive experiences in former family life will be enhanced.
Dagmar Greitemeyer:
„Das Unverständliche. Was erschwert, verhindert, erleichtert die Kooperation zwischen einem Team und Diabetes-Patienten mit Familie?“
Zusammenfassung:
Was Menschen nicht verstehen, erscheint ihnen unvernünftig. Ein Team versucht Probleme der Kooperation mit Familien und Diabetes-Patienten zu beschreiben, mit Hilfe von Erklärungen zu verstehen und Ideen zu erfinden, die Zusammenarbeit ermöglichen.
Summary: The Inconceivable. What Complicates, Hinders, or Facilitates Cooperation Between A Team and Diabetic Patients With Families?
What people don't understand, seems unreasonable to them. A team tries to describe problems in the cooperation with families and diabetic patients, and tries to understand with the help of explanations and to invent ideas, which make cooperation possible.
Susanne Weber:
„Soziale Kompetenzen und Lernen im Projektmanagement“
Zusammenfassung:
Viele Projekte enden nicht erfolgreich, weil kein angemessenes Kooperations- und Beziehungsmanagement vorhanden ist. Diesen “sozialen Kompetenzen“ wird im Projektmanagement noch nicht genügend Bedeutung beigemessen. Im ersten Teil dieses Beitrags wird Supervision vorgestellt als ein Instrument, um wesentliche Kompetenzen für Projekt- und Teamarbeit zu entwickeln. Im zweiten Teil geht es um eine andere Weise des Lernens in Projekten, auch in „gescheiterten“: Wie können erworbenes Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen über das Projekt hinaus produktiv genutzt werden? Ein „Kick-Out-Workshop“ zum Abschluß von Projekten wird vorgestellt.
Summary: Social Competence and Learning Within Project-Management
Many projects don't reach a successful end, because of lack of appropriate management of cooperation and relationships. Project-management often doesn't seem to fit the demands of such social competencies. The present paper first discusses supervision as an instrument able to develop basic competencies in project- and team-work. The second part of the paper deals with a different form of learning within project-groups, including not-successful ones: How may it become possible to use the new acquired knowledge, abilities, and attitudes after the ending of the project? To that means the idea of „kick-out-workshops“ is presented.
Günter Rothbauer:
Fokussierendes vs. Reflectierendes Team. Ergebnisse einer konversationsanalytischen Untersuchung
Zusammenfassung:
Im Zuge einer konversationsanalytischen Einzelfallstudie wurden zwei therapeutische Methoden, das Fokussierende und das Reflektierende Team, in Bezug auf deren Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede im Umgang mit der Bearbeitung von Themen untersucht. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, daß - bei sauberer Durchführung - zwischen den beiden Methoden ein beträchtlicher Unterschied hinsichtlich Lösungsorientertheit und der Stringenz in der Themenbearbeitung besteht.
Summary: Focussing Team vs. Reflecting Team. Results of a Conversation Analysis
Two therapeutical methods of the systemic therapy, the reflecting team and the focussing team were examined in a single case study. The issue was to find out similarities and differences in the coping of themes during the therapeutical session. The results indicate that there are considerable differences between the two methods regarding focussing solutions and the stringency of working with themes - when applied precicely according their rules.
Heide-Katrin Franz:
Weiße deutsche Identität(en). Weitere Fragen - weitere Antworten? Gedanken zu Gefahren und Chancen von Änderungen 2.Ordnung.
Zusammenfassung:
Gedanken zu „Weißen deutschen Identitäten“ knüpfen am Thema „Deutsche Identität(en) - fünfzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs“ an (Systhema-Sonderheft 2). Der Blick richtet sich auf innere weiße Bilder auf der Grundlage fast vergessener deutscher Kolonialmachtgeschichte und auf den entstandenen „ideologischen Giftmüll“: entgegen vorherrschender Meinung betrifft Rassismus auch Weiße persönlich und hat sie geschädigt und eingeengt. Überlegungen zu Möglichkeiten, Notwendigkeiten, Unterstützung, Gefahren und Chancen von Veränderungen werden vorgestellt mit der Vision der Neugewinnung von Wertschätzung.
Summary: White German Identity(ies). Further Questions - Further Answers? Some Thoughts about Dangers and Chances of Second Order Changes
Ideas concerning „White German Identity“ relate to the subject of „German Identity(ies) - fifty years after the end of world war II“ (systhema special 2). The focus is directed to inner white images basing on the almost forgotten history of german colonialism and the resulting „ideological poisonous residues“: opposed to predominating opinion whites are concerned personally by racism and they are injured and limited by it. Reflections upon possibilities, necessities, support, dangers and chances of changes are represented with the vision of regaining esteem.
Valentina Veneto Scheib:
Psychosoziale Beratung für „schwarze Frauen“ und Öffnung der Regeldienste im Zeichen einer therapeutischen und politischen Verantwortung
Zusammenfassung:
Psychotherapeutische Arbeit beinhaltet immer auch ethische und politische Aspekte. Eine politische Dimension psychotherapeutischer Arbeit mit „schwarzen Frauen“ (Migrantinnen, Flüchtlinge, im Exil lebende Frauen) besteht u.a. darin, die interkulturelle Kommunikation zwischen der kulturellen Mehrheit und den Minderheiten zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Dabei muß die Arbeit ressourcenorientiert sein und sowohl Unterschiede, als auch die Gemeinsamkeiten zwischen „In- und Ausländerinnen“ focussieren. Dies erfordert Fachkräfte mit interkultureller Beratungskompetenz in den Regeldiensten. „Schwarze Frauen“ müssen in Beratung und Behandlung als handelnde Subjekte anerkannt werden; ihr Empowerment soll zum Anzeiger eines menschenwürdigen, d.h. ethisch begründeten Arbeitens werden.
Summary: Psychosocial Counseling for „Black Women“ and the Opening of Regular Services Regarding to Therapeutic and Political Responsability
Psychotherapy always includes ethical and political aspects too. A political aspect of psychotherapy with „black women“ (immigrants, political refugees, women in exile) consists of, among other things, communication between the cultural majority and the minority making possible and to support it. Psychotherapy has also to focus on patient resources. It should focus on the similarities as well as differences between „natives“ and „foreigners“.We need consultants with cross-cultural competence in the counceling-centers to achieve it. „Black women“ must be recognized as active subjects in counseling and medical centers ; their empowerment should be an indicator of dignified psychotherapy practice founded on an ethical basis.
Berufspolitische Perspektiven
Inge Rosenbaum-Munsteiner:
Die Frage der Interdisziplinarität in der Psychotherapie im Licht des Psychotherapeutengesetzes
Zusammenfassung:
In diesem Artikel wird die Frage der Interdisziplinarität der Psychotherapie unter verschiedenen Aspekten betrachtet: Im Vordergrund steht das am 24.6.97 in erster Lesung von den Regierungsfraktionen in den Bundestag eingebrachte Psychotherapeutengesetz (PTG). Dieser deutschen Situation wird die je EURopäische Entwicklung gegenübergestellt und die berufspolitische Lage der interdisziplinären PsychotherapeutInnen in Deutschland betrachtet. Darüber hinaus wird die Frage der weiteren Entwicklung der Psychotherapie als einer eigenständigen Wissenschaft angeschnitten, die durch dieses PTG von ganz wesentlichen Grundlagenwissenschaften abgeschnitten wird.
Summary: The Question of Interdisciplinarity in Psychotherapy as Regarding to the „Psychotherapist Law“
The question of interdisciplinarity in psychotherapy is regarded at different aspects: as a main topic we find the so-called „Psychotherapeutengesetz“ which (in Germany) meansa new law in order to regulate the profession of a psychotherapist. An academic degree in psychology or medicine shall be the mandatory pre-requisite for a training in psychotherapy. Thus, in Germany the situation seems to be quite different from European standard and both positions have to be regarded as well. If we consider psychotherapy to be only a part of psychology (or medicine) it no longer may be an independant, creative science, because it would be separated from ist original roots: the human sciences.
PICK-UP: Zeitschriftenlese (Wolfgang Loth)
Systhema - Heft 2 - 1997
Originalbeiträge
Siegfried Essen:
Lehren des Nicht-Lehrbaren: Zur Qualität der systemischen Psychotherapie-Ausbildung
Zusammenfassung:
Sowohl die Entwicklung der psychotherapeutischen Wirksamkeitsforschung als auch der systemischen Theorie legen nahe, daß angemessene und wirksame Psychotherapie nicht so sehr auf der Anwendung spezifischer Theorie, Methodik und Technik beruht, sondern weit mehr auf der „Haltung“ des Therapeuten und seiner/ihrer Art der Beziehungsgestaltung. Auf der Basis dieser Erkenntnisse werden die Ausbildungsziele systemischer Psychotherapieausbildung neu formuliert und konkrete Ansätze für die Praxis der Ausbildung vorgeschlagen.
Summary „Teaching what can not be taught“
Quality in systemic psychotherapy- training. The systemic theory and research into the effectivity of psychotherapy both suggest that appropriate and effective therapy depends on the attitude of the therapist and the therapeutic relationship, rather than the application of specific theories, methods or techniques. This principle is applied in reformulating the goals and practice of systemic therapy training.
Christian Hawellek:
Von der Kraft der Bilder
Zusammenfassung:
Der vorliegende Artikel beschreibt die Nutzung von Videointeraktionsanalysen in der systemischen Arbeit mit Problemsystemen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Unter methodischem und entwicklungstheoretischem Aspekt wird dargestellt, auf welche Weise Videokonsultationen der Dekonstruktion von Problemen und der Illustration von Lösungen dienen. Abschließende Überlegungen gelten dem Anschluß an die aktuelle Debatte über Qualität und Effektivität therapeutischer Verfahren.
Summary „The power of the pictures“.
This article describes the use of videointeraction-analysis in the systemic work with problem determinated systems. The effect of videoconsultations is discussed from different points of view. It is shown how videoconsultations are used for the deconstruction of problems and the illustration of solutions. The final discussion deals with the actual theme of quality and effectivity in therapeutic interventions.
Ferdinand Haenel:
Spezielle Aspekte und Probleme in der Psychotherapie mit Folteropfern unter Beteiligung von Dolmetschern
Zusammenfassung:
Ausschnitte aus unserer Praxis der Psychotherapie mit durch Folter traumatisierten Menschen anderer Sprache und Kultur sollen einen kleinen Einblick darüber vermitteln, wie unzureichend es ist, die in den Therapiestunden als Übersetzer beteiligten Dolmetscher und Dolmetscherinnen rein als mechanische Sprachvermittler anzusehen. Denn ebenso wie die Behandler werden auch sie in die Übertragung des Patienten miteinbezogen und können ihrerseits Gegenübertragungsgefühle entwickeln. Bleibt das unberücksichtigt, können entscheidende, den therapeutischen Prozeß mitbestimmende Faktoren sowie die Möglichkeit und Gefahr einer stellvertretenden Traumatisierung der Dolmetscher übersehen werden.
Summary „Aspects and problems associated with the use of interpreters in psychotherapy with torture victims.“
With several case examples of our therapeutic work with extremely traumatized patients coming from other language and cultural backgrounds, we want to demonstrate that it is insufficient to consider the interpreters as pure mechanical language mediators. Just as the therapists, the interpreters can also be drawn into the patient's transference and they can develop feelings of countertransference as well. If this is not taken into account, decisive factors for the therapeutical process and also the possibility of the interpreter's vicarious traumatizaton are ignored.
Erfahrungsberichte
Jürgen Gierse:
Ausgewählte Aspekte der Jazzmusik im Zusammenspiel mit der Systemtherapie
Zusammenfassung:
In diesem Artikel werden ausgehend von ausgewählten theoretischen Elementen der Jazzmusik und praktischen, persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Jazz-Musik Analogien und Zusammenhänge zur Systemtherapie aufgezeigt, konstruiert, erläutert und erweitert. In Jazz-Büchern und im eigenen musikalischen Wirklichkeiten hat der Autor Ausschau gehalten nach Sachverhalten, Techniken, „Philosophien“ etc., bei denen Ähnlichkeiten und Übertragbarkeiten zu Aspekten der Systemtherapie als „unvermeidbar“ erscheinen und die nützlich bei der Ideenproduktion für die Erweiterung systemischen Denkens und Handelns sein könnten.
Summary „Selected elements of jazz in „conjoint play“ with systemic therapy“
The article starts with selected theoretical elements of as well with practical experience with jazz-music. Connections and analogies to systemic therapy are drawn, constructed and described. In jazz-books and in his own experiences the author had been looking for aspects that are consistent with systemic therapy, and which can help to create new ideas to broaden systemic thinking and practice.
Dagmar Greitemeyer:
Herr und Hund - Auseinandersetzung mit einer Beziehungsbeschreibung aus heutiger, systemischer und weiblicher Sicht
Zusammenfassung:
Aus systemischer und weiblicher Sicht wird die Novelle von Thomas Mann »Herr und Hund» betrachtet. »Frau und Hündin« als Gegenmodell wird charakterisiert durch eine Haltung der Neugier, Offenheit und Unwissenheit dem Tier als anderer Lebensform gegenüber. Das durch Einfühlung und Informationen von anderen Herausgefundene schlägt sich im Verhalten nieder: Mensch und Hund sollen ein Arrangement des Zusammenlebens finden, das beide zufriedenstellt und nicht eines, das den Hund zur einseitigen Anpassung zwingt.
Die ursprünglich ablehnende Haltung der Leserin der Novelle wandelt sich im Laufe der Auseinandersetzung zu einer verstehenden und kann am Ende auch die eigene Position kritisch hinterfragen.
Summary „Master and dog“ - An exposition with the description of a relationship in systemic and female view
The short story „Master and dog“ by Thomas Mann is reflected in systemic and female view. „Woman and dog“ as a counter-model is characterised by an attitude of curiosity, openness and ignorance towards the animal and his other form of life. The consequence of empathy and of information from other people is showed in the behavior: Human being and dog are supposed to find an arrangement of living together, which satisfies both the human and the dog and which doesn't force the dog to a one-sided adaptation. The negative attitude in the beginning was changing during the analysis to an understanding and it is possible to criticize the own position in the end.