Systhema - Heft 3 - 1998

Originalbeiträge

Bettina Fladung-Köhler:
„Systemische Ausbildung für Ehrenamtliche“ - Ausbildungskonzeption für Mitarbeiterinnen am Kinder- und Jugendtelefon - Vorstellung und Diskussion

Zusammenfassung:

Die von mir konzipierte systemische Ausbildung für Ehrenamtliche am Kinder- und Jugendtelefon des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) gründet sich auf meinen eigenen Erfahrungen in einer systemischen Ausbildung und auf langjährige Berufstätigkeit in der Arbeit mit Systemen, u.a. in einer Ehe- und Familienberatungsstelle, als Supervisorin und als Ausbilderin. Dabei bin ich auf eine große Bereitschaft gestoßen, anderen zu begegnen, zu wachsen und Wachstum zufördern. Auf der anderen Seite habe ich viel Angst erlebt, sich selbst zu zeigen und damit einen sehr engen Rahmen, sowohl für eigene Veränderungen als auch für die Begleitung von Entwicklungsprozessen anderer Menschen. Neben den bekannten Ausbildungsschwerpunkten wie Helfen, Gesprächsführung, Gruppendynamik und die Bearbeitung/Vorstellung spezifischer Problemsituationen, in denen sich die Kinder befinden, habe ich mein Konzept durch Triadenarbeit um gruppendynamische Möglichkeiten erweitert sowie eine Arbeit an der Ursprungsfamilie jedes Ehrenamtlichen eingeführt. Ich sehe mich in der Praxis bestätigt. Die in diesem Artikel vorgestellten Aspekte können auch bei der Ausbildung anderer Gruppen ehrenamtlich sozial Arbeitender angewandt werden. Auch wenn es Unterschiede im Einsatzbereich und bei den Zielen von sozial arbeitenden Ehrenamtlichen gibt, so sind eine erweiterte Sicht für den eigenen Platz im Lebens- und Gruppenumfeld sowie eine Reflexion und Erweiterung des Kommunikationsverhaltens anzustreben und ein individueller sowie ein Gruppenzugang zum Arbeitsauftrag zu gestalten.

Dagmar Greitemeyer:
„Coaching für Eltern Die Geschichte einer sprachlichen Umwandlung“

Zusammenfassung:

Eine Bezeichnung und eine Form der Beratung und Supervision werden auf einen nicht dafür vorgesehenen Bereich übertragen: »Coaching« für private Fragestellungen und Probleme. Am Beispiel eines Diskurses mit einem Elternpaar wird der Nutzen und der Unterschied zu der Bezeichnung »Familientherapie« aufgezeigt. Vielleicht unterscheidet sich das Tun der meisten Familientherapeuten weniger von dem vorgestellten Modell?

Wolfgang Loth:
„Vom Lösungsfokus zur Persönlichen Konsultation“ - Ein E-Mail-Interview mit John L. Walter

Zusammenfassung:

Im Jahr 1992 veröffentlichten John L. Walter und seine Frau Jane E. Peller ihr Buch „Becoming Solution-Focused in Brief Therapy“, das 1994 in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Lösungs-orientierte Kurztherapie. Ein Lehr- und Lernbuch“1 erschien. Darüber hinaus vermittelten die beiden ihren Ansatz in einer Vielzahl von Publikationen2. John Walter's Seminare und Workshops genießen großes Renommée weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus3. Als sich John im Mai 1998 in Flensburg aufhielt, hatte ich durch die freundliche Einladung von Jürgen Hargens Gelegenheit, John zu treffen. Jürgen, John und ich hatten eine Reihe von interessanten und inspirierenden Gesprächen miteinander. Da ich kein Gerät dabei hatte, um ein Interview aufzunehmen, stimmte John meinem Vorschlag zu, ein E-Mail-Interview miteinander zu führen, wenn er wieder nach Chicago zurückgekehrt sei, wo er mit Jane Peller zusammen das Institut „Consultations“ leitet. Das Interview fand in der Zeit von Juni bis September 1998 statt. In diesem Interview beschreibt John seinen Weg von einer lösungsorientierten Kurzzeitperspektive zur Persönlichen Konsultation, einem narrativen Ansatz, in dem die „Konversation als AutorIn“ betrachtet wird.

Jürgen Kriz:
„Die Effektivität des Menschlichen“ - Argumente aus einer systemischen Perspektive

Nachbearbeiteter Vortrag anläßlich des 3. Landes-PsychologInnen-Tages des BDP: „Zwischen Menschlichkeit und Effektivität - Fragen an die Psychologie“, 18.4.1998 Rendsburg

Zusammenfassung:

Mit dem Ruf nach „Effektivität“ wird im gegenwärtigen Zeitgeist versucht, Menschlichkeit und humanistisch-therapeutische Werte zugunsten einer technokratisch und ökonomistisch verstandenen „Wissenschaft“ auszuhebeln. Es wird aber gezeigt, daß Wolfgang Metzgers zusammengefaßte Postulate der „Arbeit am Lebendigen“ nicht als Relikte einer überkommenen Bewegung der Gestaltpsychologie oder als belächelte Schwärmereien einer humanistischen Bewegung zu verstehen sind, sondern inzwischen innerhalb moderner Naturwissenschaft als wesentliche Kriterien für einen effektiven Umgang mit Systemen gesehen werden. Das Menschliche ist somit durchaus effektiv.

Summary:

Today, in the discussion of social politics, we often find the argument that efficacy and efficiency require other „qualities“ instead of humanistic values (for instance in psychotherapy). By way of contrast this paper argues that the principles of work with living entities - summarized in the sixties by Wolfgang Metzger - turn out to be principles of effectiveness in modern natural sciences, too. Whenever natural scientist want to treat complex systems in an effective way, they have to respect METZGER's principles. Therefore, fundamental concepts concerning „efficacy in humanistic psychology and in modern natural science“ stress the same principles.

Berufspolitische Perspektiven:

Arist v.Schlippe:
Verbandspolitik: DAF - DFS - SG. Wie soll/wird es weitergehen?

Zusammenfassung:

Überblick über die bisherigen Strömungen in der familien- und systemtherapeutischen verbandspolitik auf dem Hintergrund der anstehenden Fusion von DAF und DFS. Überlegungen und Stimmungen zu den Fragen: „Mitgliederverband - Institutsverein? Zusammenschluß zu einem Verband? Zwei gegen einen? Weiterhin alle drei? AGST?“

Brief der AGST an die Sozialministerien der Länder

Bericht der AGST über die Anerkennung der systemischen Therapie als grundständige psychotherapeutische Behandlungsmethode durch den BDP.

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Systhema - Heft 2 - 1998

Das Heft war ein Themenheft zum 10. Todestag von Virginia Satir. 16 AutorInnen beschrieben in kurzen Abschnitten, welche „Spuren“ sie von Virginias Arbeit in ihrer heutigen Praxis wiederfinden. Zu den beiträgen gab es keine Abstracts.

Freie Beiträge:

Ulrich Kürschner:
„Wege aus dem Schweigen. Therapie bei selektivem Mutismus“

Zusammenfassung:

Vorgestellt wird das Modell einer Therapie bei selektivem Mutismus im Kindesalter, das bei der Arbeit mit der Familie systemische Aspekte mit verhaltensorientierten Interventionen, die die Eltern dem Kind gegenüber vertreten, verknüpft. Die Therapie mit mutistischen Kindern erfordert ein verändertes Verständnis von „Helfen“, nämlich sich dem Kind nicht besonders zuzuwenden und auch nicht für es zu sprechen. An einem Fallbeispiel wird der therapeutische Prozeß erläutert und die Bedeutung von tabuisierten Familienthemen aufgezeigt.

Ursula Tröscher-Hüfner:
„Beziehungs-, Sach- und Prozeßebene in Teams“

Zusammenfassung:

In dem Beitrag wird das Zusammenwirken von Beziehungs-, Sach- und Prozeßebene beschrieben. Ein Supervisor hört und erpürt alle drei Ebenen gleichzeitig. Die sprachlose Prozeßebene steuert ein Team machtvoll. Tabus und implizite Regeln führen auf dieser Ebene ein verborgenes Leben und stören Beziehungs- und Sachebene. Der Supervisor gibt dem Unausgesprochenen Sprache, und indem er es tut, öffnet er Möglichkeiten zur Veränderung auf der Beziehungs- und Sachebene.

Bengta Hansen-Magnusson et al.: Konsultation anders? Ein Projekt fallspezifischer Ressoucennutzung im Gesundheitswesen (Projektskizze ohne Abstract)

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Systhema - Heft 1 - 1998

Originalbeiträge

Haja Molter:
Es könnte auch alles ganz anders sein - Ein persönlicher Blick auf aktuelle Tendenzen

Zusammenfassung:

Der Beitrag beleuchtet mögliche Entwicklungstendenzen bei der Durchführung von Familienrekonstruktionen. Anschließend an die von V. Satir begründete Tradition werden Entwicklungslinien beschrieben, die sich aus dem Unterscheiden zwischen Ansätzen der Familientherapie und einer erkenntnistheoretisch an Konstruktivismus und sozialem Konstruktionismus orientierten systemischen Therapie ergeben. Weiter reflektiert der Autor seine Rolle als Leiter von Familienrekonstruktionsseminaren, die Bedeutung der Gruppe im Prozeß der Arbeit und setzt sich kritisch mit den an B. Hellingers Sichtweisen orientierten Familienkonstellationen und den daraus abgeleiteten Ordnungen auseinander.

Summary:

This contribution illustrates tendencies of possible developments which could arise in „Family Reconstruction“-Workshops. According to V.Satir's tradition, lines of development are described: these arise from the distinction between approaches to family therapy and theoretical cognitive systemic therapy oriented towards constructivism and social constructionism. In addition, the author reflects his role as leader of Family Reconstruction workshops, the meaning of the group in the process, and critically discusses the concept of „Family Constellations“ that is associated with the approach of Bert Hellinger.

Jutta Schulze:
Meine Entdeckungsreise in die Kindheit - Durch eigene Rekonstruktionserfahrungen familientherapeutisch kompetent werden

Zusammenfassung:

Der Artikel beschreibt eigene Erfahrungen mit Familienrekonstruktion und stellt ein Leittext- Lern- Paket vor, mit dessen Hilfe es dem Leser und Anwender ermöglicht wird, Übungen zur Rekonstruktion seiner Herkunftsfamilie durchzuführen. Die zentralen Theoriebausteine und Techniken der Familienrekonstruktion in der Tradition V. Satirs werden beschrieben und auf dem persönlichen Erfahrungsgrund reflektiert mit der Absicht, solche Prozesse auch bei anderen anzuregen oder mit Erfahrungen der schon zurückliegenden Familienrekonstruktion in Austausch zu bringen.

Ursula M. Tröscher-Hüfner:
Familienrekonstruktion und Stellen von Familienkonstellationen
Zwei Zugänge zu Geschichte, um die Gegenwart zu lösen

Zusammenfassung:

Die Autorin beschreibt in dem Aufsatz ihre Sicht der Weiterentwicklung der Familienrekonstruktion (nach V. Satir) mit dem Stellen von Familienkonstellationen (nach B.Hellinger) und ihre unterschiedlichen Zugänge zur Gegenwart und Geschichte von Familiensystemen. Weiter werden Unterschiede in der therapeutischen Haltung und in den Sichtweisen auf Familiensysteme herausgearbeitet sowie der Methoden, um die Dynamik, die wirkt, zu erfassen.

Summary:

The essay desribes how the method of family reconstruction (according to V. Satir) has been developed towards the setting up of family constellations (according to B. Hellinger). It shows their different access to the present state and the history of family systems. It also points out their differences concerning the therapist's attitude and the way family systems are looked at, as well as the different methods of grasping the dynamism that is at work.

Michael Grabbe:
Zum Umgang mit Tabus und Geheimnissen in der systemischen Therapie und Familienrekonstruktion

Zusammenfassung:

„Offen zu sein“ wird in unserer Gesellschaft allgemein und auch in der Therapeut-Klientbeziehung meist positiv bewertet. Der Aufdeckung von Geheimnissen und Tabus werden zumeist Heilungsqualitäten zugeschrieben. Geheimnisse sind jedoch auch für die Identitätsbildung von Individuen, Familien und auch anderen Systemen wichtig und somit schützenswert. Dem Autor geht es in diesem Beitrag um eine differenzierte Sicht- und Handlungsweise in der therapeutischen Arbeit: er möchte zum „Durchlüften von Geheimnissen“ anregen.

Summary:

„Openess“ is a high value in our society in general as well as in the client-therapist-relation. So, to uncover „dark“ secrets and taboos often means getting forward in the healing process. On the other hand secrets are important for individuals, for families, and for other systems too, in order to shape identity and protect boundaries. Thus in his contribution the author suggests a sensitive therapeutic approach in dealing with „secrets“.

Peter Heinl:
Sich selbstorganisierendes Denken in der Exploration früher, familiensystemischer Erfahrungen

Zusammenfassung:

Ziel der dargestellten Fallstudie ist die Beschreibung des Explorationsprozesses eines frühen familiären Erlebens. Die Exploration wurde dabei auf dem Wege intuitiver Wahrnehmung und mit Hilfe von Objekten durchgeführt, ohne daß dem Autor verbale Informationen bezüglich des zu untersuchenden familiären Systems zur Verfügung gestanden hätten. Die Phänomenologie sich im Rahmen der geschilderten Arbeit abspielender Denkprozesse wird analysiert und deren Relevanz für das sogenannte systemische Denken untersucht.

Summary:

This case study describes the exploration of an early family experience. The exploration is performed by making use of what might be called intuitive perception and by the use of objects without there having been any verbal information available to the author prior to the exploration of the family system concerned. An attempt is made to analyse the thinking processes playing a part in the course of this exploration and to examine their relevance for the notion of systemic thinking.

Susanne Hucklenbroich:
Macht Frau-Sein angst? Die Bedeutung von „Frauenbildern“ für Diagnose und Therapie von Angststörungen in der klinischen Praxis

Zusammenfassung:

Der Artikel befaßt sich mit dem Einfluß von Frauenbildern auf die Diagnose und Therapie von psychischen Störungen (hier speziell der Agoraphobie). Frauen sind in der klinischen Praxis als Betroffene im Vergleich zu Männern deutlich überrepräsentiert. Was das Frau-Sein ausmacht, wird in den einzelnen Theoriebereichen sehr unterschiedlich diskutiert. Darauf, daß solche Frauenbilder auch auf die Entstehung, Etikettierung und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen Einfluß haben, wird in der psychologischen Literatur jedoch bisher nur wenig eingegangen. Welche Einflüsse hier zu beachten sind, soll anhand einer wissenschaftlichen Untersuchung zum Geschlechtsrollenselbstbild bei Frauen mit Agoraphobie dargestellt werden. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen bei diesen Frauen eine verstärkte Anpassung an stereotype Rollenerwartungen, was wiederum zu verringerten Handlungs- und Entscheidungsspielräumen führt. Angst (Agoraphobie) verstanden als Flucht in eine „Scheinautonomie“, die von stereotypen Frauenbildern gekennzeichnet ist.

Marianne Willemsen, Conrad M. Siegers:
Verlustgewinne - Wachstumsprozesse in Beziehungen

Zusammenfassung:

Individuelle Wachstumsprozesse sind zeitgeschichtlich, biografisch und geschlechtsspezifisch determiniert. Frauen und Männer sind in ihrem Beziehungsleben durch eine gesellschaftlich verankerte, rollenspezifische Sozialisation geprägt, die die Dynamik vieler Konfliktsituationen entscheidend mitbestimmt. Männliche und weibliche Rollenmuster erweisen sich im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbedingungen als divergent. Heilungs- und Versöhnungsprozesse bedürfen deshalb einer rollenübergreifenden, versöhnten Lösungsorientierung. Geschlechtsspezifisch-systemische und paradoxe Interventionen in der Arbeit mit Frauen und Männern bieten die Möglichkeit, die jeweiligen rollenspezifischen Fähigkeiten als Ressource für einen therapeutischen Prozeß zu nutzen.

Summary:

Individual processes of growth are historically, biographically and sex-specifically determined. Women and men, in their relationships, are formed by a role-specific socialisation embedded in society which decisively influences the dynamism in situations of conflict. Male and female role expectations turn out to be divergent in the context of social frameworks. Processes of healing and reconciliation require a solution that is both role comprehensive and reconciled. Sex-specific systemic and paradoxical interventions in the work with women and men offer the opportunity to use the role-specific abilities of both sexes as resources for a therapeutic process.

Klaus A. Schneewind:
„Hellinger als tausend Sonnen oder die Faszination des Simplen“

Zusammenfassung: Der Autor setzt sich kritisch mit den Konzepten Bert Hellingers auseinander und hinterfragt die Gründe, warum eine große Zahl von Therapeuten und Therapeutinnen sich lieber mit einfachen Erklärungsmustern zufrieden geben, anstatt sich den Mühen differenzierter Zugänge zu Systemen zu stellen.

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